Merzdorf  (Marciszów)

 

Bereits seit spätestens Oktober 1942 arbeiteten Jüdinnen und Juden aus Ostoberschlesien und dem Dabrowa-Gebiet bei dem örtlichen Leinenwerken der „Kramsta-Methner und Frahne AG“, die ihren Hauptsitz in Landeshut hatten. Sie waren von der „Organisation Schmelt“ vermittelt worden, einer regionalen SS-Instanz, die seit 1940 den Arbeitseinsatz der ostoberschlesischen Juden organisierte. Im Zuge der Auflösung dieser Organisation wurde das Lager im Frühjahr 1944 der Kommandantur von Groß-Rosen unterstellt. Dies geschah in Form einer entwürdigenden Selektion, bei der die Frauen einzeln und nackt vor eine SS-Kommission treten mussten. Eine unbekannte Zahl von Frauen wurde nach der Selektion vermutlich nach Auschwitz abtransportiert.

Im Oktober 1944 kamen Transporte aus Auschwitz im Lager Merzdorf an: 200 Jüdinnen, die vor ihrer Deportation nach Auschwitz im Ghetto Łódź inhaftiert gewesen waren, 100 Jüdinnen aus Deutschland, Österreich und der ehemaligen Tschechoslowakei, die von Theresienstadt nach Auschwitz transportiert worden waren und 100 ungarische Jüdinnen. Außerdem wurden noch Jüdinnen aus dem aufgelösten Zwangsarbeiterlager Bunzlau in Merzdorf aufgenommen. 

Zwölf Stunden pro Tag arbeiteten die Frauen in der Weberei und Flachsspinnerei der Firma Kramsta-Methner und Frahne AG. Dabei wurden sie von deutschen zivilen Meistern angewiesen und beaufsichtigt.

Untergebracht waren die Häftlinge im vierten Stock des Fabrikgebäudes, das von SS und frontuntauglichen Wehrmachtssoldaten bewacht wurde.

Die Lebensumstände der Häftlinge waren tragisch. Während der Fabrikarbeit litten die Häftlinge unter Kälte und Nässe, sowie unter Prügel und Demütigung einiger deutscher Betriebsangehöriger. Ihre Ernährung war absolut unzureichend. Eine Häftlingsärztin kümmerte sich im Lager um die Kranken, jedoch war eine Ausstattung mit medizinischem Gerät und Medikamenten nicht vorhanden. Mindestens zwei Geburten fanden im Lager Merzdorf statt. Eine Mutter starb nach ihrer Entbindung an Blutvergiftung. Was mit dem Kind geschah, ist ungeklärt. Ein zweites Kind, das kurz vor Kriegsende im Lager Merzdorf geboren wurde, überlebte. Ende Dezember 1944 wurden sieben schwerkranke und drei schwangere Frauen mit Lkw in das Stammlager Groß-Rosen abtransportiert, wo sie vermutlich umgebracht wurden. Etwa fünf bis zehn Frauen starben in Merzdorf an Krankheiten und Erschöpfung und wurden auf dem örtlichen Friedhof begraben.

Die Aufsicht über die Wachmannschaften in Merzdorf hatte der Kommandeur der Wachmannschaft des nahegelegenen Männerlagers Landeshut. Im Lager Merzdorf selbst hatte Oberaufseherin Erna R. die Führung. Ihr unterstanden 10-15 Aufseherinnen. Nach Aussagen ehemaliger Häftlinge verhielten sich die Lagerführerin und einzelne Aufseherinnen grausam gegenüber den Frauen. Sie schlugen regelmäßig oder führten Strafappelle durch, bei denen die Frauen stundenlang im Frost stehen mussten.

Im Januar oder Februar 1945 flohen eine tschechische und eine polnische Jüdin aus dem Lager. Sie wurden jedoch nach einigen Tagen ergriffen. Im Lager wurde ein Strafappell abgehalten. Die Flüchtigen erhielten eine Arreststrafe, Essensentzug und Prügel.

In der Nacht zum 8. Mai 1945 verließen die Aufseherinnen und Bewachungskräfte das Lager, das am folgenden Tag von Soldaten der Roten Armee erreicht wurde. Die Häftlinge waren frei.

Die ehemaligen Aufseherinnen Else Jäckel, Gertrud Klenner und Elfriede Villain wurden 1947 durch das Bezirksgericht in Świdnica (Schweidnitz) zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ein Verfahren gegen die SS-Aufseherin Hildegard S. wurde durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg mangels Schuldnachweises eingestellt. Ein Ermittlungsverfahren gegen die ehemalige Lagerführerin Erna R. wurden 1976 von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Braunschweig eingestellt, da ihr keine Tötungen nachzuweisen waren.

Das ehemalige Fabrikgebäude der Kramsta, Methner und Frahne AG steht heute leer.

 

Quellen und Literatur

 

Verzeichnis der Haftstätten unter dem Reichsführer SS (1933-1945), Arolsen 1979, S.422

Ermittlungen zum Außenlager Merzdorf durch die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (Bundesarchiv Ludwigsburg)

Elżbieta Kobierska-Motas (Hrsg.), Członkowie załóg i więźniowie funkcyjni niemieckich obozów, więzień i gett skazani przez sądy polskie [Durch polnische Gerichte verurteilte SS-Funktionäre und Funktionshäftlinge aus deutschen Lagern, Gefängnissen und Gettos], Warszawa, 1992.

Kitty Fischer, Ich bin Kriegswaise… Rückkehr aus dem Vernichtungslager, in: Barbara Distel (Hrsg.), Wir konnten doch die Kinder nicht im Stich lassen. Frauen im Holocaust, Gerlingen 2001.

 

Andrea Rudorff

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